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Nimm mich an der Hand

 

Ich habe Dich immer gespürt. Ich wusste, ich bin nicht allein.

 

Ich war so voller Wut, weil Du nicht da warst. Heute weiß ich, hinter dieser Wut verbarg sich meine unendliche Trauer. Ein Schmerz, kaum zu ertragen.

 

Ich hoffte, das große Loch mit materiellen Dingen füllen zu können. Vergebens.

 

Jeder hatte Anteil an meiner Verzweiflung durch meine Aggressivität. Völlig missverstanden und mich selbst verachtend, suchte ich Dich, den verlorenen Teil, im Außen und in mir. Über 40 Jahre. Ich musste reifen, begreifen und verstehen. Ich weiß, hättest Du Dich früher zu erkennen gegeben, ich wäre daran zerbrochen.

 

Ich war sehr einsam. Ich konnte Dich kaum spüren, und doch warst Du für mich da. Du hast mir die richtigen Menschen, mit den richtigen Ratschlägen geschickt. Dann begann eine Reise, die mich wachsen lies bis zu dem Tag, an dem Du mir von Dir erzählt hast.

 

Es ist kaum nachvollziehbar, wie Du gelitten hast, wie Du mit Dir gerungen hast, wegen mir. Und doch war es Dir ganz klar. Ich habe Deinen Druck gespürt. Du wolltest so schnell wie möglich weg. Du hattest keine Zeit, lange zu überlegen, sonst hätten sie Dich entdeckt.

 

All das habe ich mit Dir geteilt. Ich habe Dich dabei begleitet. Erfahren was Liebe ist. Das Liebe manchmal wehtut, dass man trotz Liebe frei entscheiden kann. Man sich selbst am meisten lieben darf -  soll - muss, um richtige Entscheidungen zu treffen. Man muss seiner Bestimmung folgen, dann hat  alles einen Sinn.

 

Heute weiß ich, dass unser Sein enormen Einfluss auf mich hatte. Unser Miteinander hat mich für das Leben geprägt. Leider vergaß ich das Positive. Zuerst musste ich das Leid ausdrücken, den Schmerz verstehen, um mich der Liebe, Verbundenheit, Ausgewogenheit, Ruhe und Kraft zu erinnern. Die Suche hat ein Ende. Wir sind jetzt frei. Wir nehmen uns unserer Stärke an. Wir sind wer wir sind. Wir haben einen gemeinsamen Anfang, eine Geschichte und irgendwann sehen wir uns wieder.

 

Ich kann heute Deine Entscheidung akzeptieren und kann somit auch die Entscheidungen anderer akzeptieren. So schmerzvoll wie damals wird es nicht mehr.

 

Du gingst mit den Worten, „Du schaffst das auch ganz ohne mich!“ und das habe ich mehr schlecht als recht bis heute. Jetzt weiß ich, dass Du noch immer für mich da bist. Ich kann Dich gehen lassen, und da wohin Du gehst, kannst Du auf ganz besondere Art und Weise für mich da sein, so wie ich für Dich da bin.
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Heute ist alles so klar, wenn auch noch immer schmerzhaft. Ich weiß es wird leichter.

 

Ohne Dich, konnte ich nicht frei sein.

 

Ohne Dich, war ich nicht komplett.

 

Ohne Dich, war mir nicht klar, wieso jeder Abschied derart schmerzlich ist.

 

Ohne Dich hatten die Wut, der Schmerz und die Verzweiflung keinen ersichtlichen Grund.

 

Ohne Dich war ich so allein.

 

Ohne Dich zweifelte ich an mir selbst, an meinen Gefühlen.

 

Ohne Dich war ein Platz leer oder vielleicht sogar falsch besetzt.

 

Jetzt ist alles anders. Die Wut ist vergangen, die Verzweiflung hat ein Ende. Doch so viele Fragen ihre Antworten bekamen, so viele neue sind entstanden. Ich weiß, Du hilfst mir, sie zu verstehen.

 

Du wolltest gehen, ich war der Stärkere. Daran habe ich keine Schuld.

 

Du hast so für Dich entschieden. Ich konnte Dich nicht davon abhalten. Daran habe ich keine Schuld.

 

Du weißt dass ich stark genug bin für das Leben und ich verstehe und akzeptiere, dass Du frei entschieden hast zu gehen.

 

Ein Leben an meiner Seite war für Dich nicht möglich. Du liebst mich trotzdem. Ich bin für Dich sehr wertvoll. Ich habe alles richtig gemacht.

 

Ich wollte Dich retten, aber ich war noch zu klein. Keiner hat mich verstanden. Es war eine Ausnahmesituation. Heute kann ich mich klar ausdrücken und weiß wer mir am besten helfen kann.

 

Ich wollte immer jedes Tier retten, wohl weil ich Dich damals nicht retten konnte. Ich weiß, es war nicht meine Aufgabe.

 

Nur kurz durfte ich Dich spüren und trotzdem kennt Dich keiner besser als ich.

 

Nun ist es an mir, für uns zu leben. Dich teilhaben zu lassen, durch meine Sinne, meinen Körper, mein Herz und meinen Geist. Nimm mich an der Hand, da wo Du bist. Sei mit mir als wärst Du hier. Lass mich Dich öfter mal spüren. Ohne Abschied, ohne Schmerz, ohne Verlust. In Liebe, Freude, Ausgelassenheit, Geborgenheit, Zuversicht. Ich mag von uns beiden der Stärkere gewesen sein, doch ohne Dich, bin ich nicht ganz. Wir sind eins und doch in zwei Welten.

 

Das Leben ist kein Kampf. Sich für das Leben zu entscheiden, war ein Kampf den Du nicht kämpfen wolltest. Ich lebe für Dich ohne zu kämpfen in Frieden.

 

Entscheidungen müssen nicht immer so schmerzhaft sein, in Ihnen birgt sich ebenso viel Gutes, Neubeginn und Hoffnung!

 

Ein Abschied braucht nicht weh zu tun, er ist nicht für immer. Irgendwann sind wir wieder eins.

 

Ich urteile nicht mehr über Dich, über mich und niemanden. Es war unsere Bestimmung. Du hattest Deine, ich habe meine. So ist jeder seinen Weg gegangen. Hilf mir bitte, frei von Urteilen zu sein.

 

Wir hatten nicht viel Zeit und doch war sie so unermesslich wertvoll und intensiv. Bitte unterstütze mich, die Zeit des Lebens zu genießen. Jede Zeit hat etwas Gutes, erinnere mich stets daran, sollte ich das vergessen.

 

Ich darf hier glücklich sein und Du dort wo Du bist. Frei und voller Glück.

 

Alles ist gut! Wir sind richtig!

 

In unendlicher Liebe,

Dein Zwilling